Eine Bachelorarbeit für 4000 Franken
Akademisches Ghostwriting: Gekaufte Abschlussarbeiten sind für Universitäten nur schwer zu erkennen. Juristisch werde das Problem kaum lösbar sein, sagt der UZH-Rektor.
Vergangene Woche tauchte in einer öffentlichen Gruppe der Universität Basel eine Annonce unter dem Titel «Ghostwriter für Masterarbeit und Bachelorarbeit aus Berlin» auf. Der Post, publiziert mit einem Link zur Ghostwriting-Seite www.DieAkademikerin.de, wurde vom Seitenadministrator umgehend gelöscht, die Verfasserin blockiert. An der Universität Zürich (UZH) seien ihm solche Fälle nicht bekannt, sagt Michael Hengartner, Rektor der UZH und Präsident der Rektorenkonferenz der schweizerischen Hochschulen Swissuniversities, auf Anfrage.
Der Fall ist aktuell, die Angebote schon länger ein Problem: Bereits vor zwei Jahren verteidigte Thomas Német das Geschäft mit dem Ghostwriting medienwirksam. Nemét ist CEO von Acad Write, einem Unternehmen für wissenschaftliches Consulting (so wird der Zweck der Aktiengesellschaft im Handelsregister angegeben), das auf seiner Website jedoch explizit Kostenvoranschläge für akademische Dissertationen anbietet.
In einem Beitrag der «Rundschau» des SRF gab er bereitwillig Auskunft über die Anzahl der akademischen Arbeiten, die 2015 von seinem Unternehmen für Studierende aus der Schweiz geschrieben wurden. Von 480 Interessenten nahmen 200 Studierende das Angebot der Acad Write an. Zum aktuellen Auftragsvolumen oder Trendentwicklungen wollten Thomas Német und sein Team auf Anfrage dieser Zeitung keine Angaben machen.
«Dieses Problem ist im juristischen Rahmen kaum lösbar.»
Michael Hengartner nimmt an, dass die Anzahl an Arbeiten, die von Ghostwritern geschrieben wurden, aufgrund der hohen Preise – eine Bachelorarbeit kostet je nach Studienfach und Komplexität des Themas zwischen 4000 und 12'000 Schweizer Franken – nicht sehr verbreitet ist. Dennoch sei es sehr schwierig, eine Einschätzung vorzunehmen. Ebenso schwierig gestaltet sich das Erkennen jener Arbeiten.
Im Gegensatz zum Plagiat, das anhand spezieller Softwares zuverlässig und schnell erkannt werden kann, sind Ghostwriter-Arbeiten in der Regel Unikate, und es gibt keine Mittel, zu überprüfen, ob eine Arbeit tatsächlich vom unterzeichnenden Studierenden verfasst wurde.
Nur «wissenschaftliche Entwürfe»
Hengartner setzt auf Prävention durch Sensibilisierung der Studierenden: «Dieses Problem ist im juristischen Rahmen kaum lösbar.» Davon zeugen die Strafanzeigen, welche die Universitäten Bern und St. Gallen Anfangs 2016 jeweils gegen Acad Write und Unbekannt erstattet hatten: Beide scheiterten daran, dass keine Ghostwriter-Arbeiten zu finden waren, die den Vorwurf der «Erschleichung einer falschen Beurkundung» gestützt hätten. Würden Gesetze eingeführt, welche die Arbeit der Ghostwriter-Unternehmen strafbar machen, würden sich diese einfach ins Ausland absetzen, mutmasst Hengartner. Vielleicht wurde der Hauptsitz der «Acad Write – The Ghostwriter Network Ltd» 2013 auch aus diesem Grund nach London versetzt, während in Salzburg, Berlin und Kloten nur noch Korrespondenzanschriften zu finden sind.
Acad Write sichert sich gegen juristische Schritte ab. «Die meisten Hochschulen haben Richtlinien, denen es widerspricht, eine von einer dritten Person erstellte Arbeit als eigene Prüfungsarbeit einzureichen», schreibt Acad Write in den FAQs ihrer Seite. Obwohl ein fixfertiges Produkt geliefert wird, versteht das Unternehmen seine Dienstleistung als einen «qualitativ hochwertigen wissenschaftlichen Entwurf». Und weiter: «Inwieweit Sie von unserem Entwurf abweichen, obliegt ausschliesslich Ihrer Verantwortung und entzieht sich unserer Einflussnahme.» Dies dürfte in den meisten Fällen heissen, dass die Arbeit direkt an den Professor weitergeleitet wird.
Auch die Kundendaten werden geschützt. Die Kommunikation zum Unternehmen ist verschlüsselt und anonym. Alle Daten werden zudem 30 Tage nach Abschluss des «Projektes» durch Acad Write gelöscht. Im «Rundschau»-Beitrag schredderte Acad-Write-Geschäftsführer Thomas Német demonstrativ Dokumente.
Dass es zu grossen «Acad Papers»-Enthüllungen kommen könnte, kann Michael Hengartner nicht ausschliessen. Aktiv würden sie aber nicht nach Kundendaten von Ghostwriter-Unternehmen suchen: «Eine Rechtsverletzung kann und darf eine andere nicht rechtfertigen.» Also kein Datenklau zur Erhaltung der akademischen Integrität.
Note 1 bis schweizweiter Ausschluss
Auf Betrüger nicht hereinzufallen sei schwer, sagt Hengartner. Auch in der Rektorenkonferenz der schweizerischen Hochschulen Swissuniversities seien bisher keine sicheren Lösungen gefunden worden. «In Kursen, in denen 200 Studierende sitzen, die je zwei Seiten abgeben müssen, könnte auch eine eingekaufte Arbeit abgegeben werden, ohne dass wir es merken», sagt Hengartner.
Doch: Je kleiner die Seminargruppe, desto besser kennt der Referent seine Studierenden. Somit könne besser abgeschätzt werden, ob die Arbeit tatsächlich aus der Feder des Studierenden stammt. Zudem werden Studierende bei grösseren Arbeiten wie Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten einer mündlichen Prüfung unterzogen. «Spätestens bei der mündlichen Verteidigung können wir feststellen, ob der Prüfling sich in der Materie auskennt oder nicht.»
Einen akademischen Abschluss kann man sich also nicht erkaufen? «Dies dürfte kaum machbar sein», sagt Hengartner. Leistungspunkte würden schliesslich nicht nur mit Arbeiten verdient, sondern auch mit Gruppenarbeiten, schriftlichen und mündlichen Prüfungen. Die Disziplinarmassnahmen bei der Aufdeckung einer fremdgeschriebenen Arbeit reichen von der Note 1 bis zum Ausschluss aus diesem Studienfach.
Die Kosten sind hoch, das Risiko nicht inexistent und die berufliche Zukunft auf dem Spiel. Wer es in Erwägung zieht, eine Arbeit abzugeben, die nicht von ihm geschrieben wurde, sollte sich dies also mehr als nur zweimal überlegen.
Dieser Artikel erschien erstmals am 15. Februar 2018 im Tages-Anzeiger.