«Anders als Gölä brauchte er keine Berner Flagge»
Für Pedro Lenz waren die Liedtexte von Polo Hofer eine der grössten Inspirationen. Weil sie so normal klangen.
Wie wichtig war Polo Hofer für die Mundartkunst in der Schweiz, auch die Literatur?
In den 70er- und 80er-Jahren sicherlich einer der wichtigsten – wenn nicht sogar der wichtigste. Dadurch, dass er diese Selbstverständlichkeit unserer Sprache umgesetzt hat. Bis dahin hatte man das Gefühl, Mundart müsse Sprachkunst, etwas Besonderes und Spezielles sein. Etwas, was sich im Tonfall und im Stil von der Normalität abhebt. Polo Hofer hat im besten Sinn Normalität in die Mundartkunst gebracht. Mit gewöhnlichen Wörtern und Sätzen machte er Poesie. Später hat es dann ein wenig abgenommen.
Wie gut war seine Mundart? Sie haben ja im Januar viele jüngere Mundarttexter hart kritisiert …
Er hat genau das nicht gemacht, wofür ich die anderen Mundarttexter kritisierte: Er hat nie versucht, Mundart auf ein Podest zu stellen und speziell zu machen, wie Bligg es beispielsweise mit seinem Song «MundART» gemacht hat. Für Polo Hofer war Mundart ein normales Vehikel. Er hatte auch ein wahnsinnig gutes «Gspüri» dafür, was gut klingt. Selbst in poetischeren Geschichten, die er erzählte, hat er eine ganz normale Sprache gebraucht. Polo Hofer hatte instinktiv ein sehr gutes Sprachgefühl.
Wie wichtig war Polo Hofer für Ihr eigenes Schreiben?
Als Jugendlicher habe ich seine Texte alle transkribiert und auswendig gelernt. Es gab noch kein Internet, wo ich die Songtexte ausdrucken konnte. Also transkribierte ich alle Texte ab Kassette. Dies ermutigte mich, meine ersten Versuche zu wagen. Es zeigte mir auch auf, dass man mit ganz normaler Sprache arbeiten kann. Ich muss keine Spezialbegriffe suchen, muss nicht etwas Besseres daraus machen, als es ist, ich kann mit dieser Sprache einfach arbeiten. Dies war ein sehr inspirierender Moment für mich. Zwischen meinen 15 und 20 Jahren war Polo Hofer sicherlich die grösste Inspiration für mich – grösser noch als Literatur.
Sie haben als Maurer in einem Milieu gearbeitet – und Sie beschreiben dieses Milieu ja auch in Ihren Romanen –, das zum Stammgebiet von Polo Hofer gehörte. Warum begeisterte Polo derart in diesem Milieu?
Weil er direkt war und weil er einem nie das Gefühl gab, man müsse Germanistik studiert haben, um ihn zu verstehen. Wie später Gölä auch – mit dem Unterschied, dass er sich die Berner Flagge nicht tätowieren musste. Polo Hofer ging es inhaltlich auch viel mehr um das Fern- als das Heimweh. Vielleicht einmal abgesehen von «Hopp Schwiiz» – was aber auch wieder sehr ironisch war. Es ging ihm nicht um ein Zelebrieren von Swissness, sondern um Rock’n’Roll. Er war für mich auch der beste Übersetzer englischer Songs, da er nicht das Gefühl hatte, sie besser machen zu wollen, oder wortwörtlich übersetzte, sondern weil er instinktiv einfach begriffen hat, worum es in diesen Songs geht. Ich wusste lange nicht, dass es sich bei «S Meitschi vo Wyssebühl» um einen englischen Song handelte («Jersey Girl» von Tom Waits). Für mich ist auch sein Album, auf welchem er Songs von Bob Dylan gesungen hat, etwas vom Besten überhaupt.
Wie ging man in diesem Milieu damit um, dass Polo Hofer ein Linker war?
Lustigerweise hat das die Leute damals gar nicht so stark getroffen. Als ich 1985 in der Rekrutenschule war, war Polo Hofer einer der Ersten, der sich für die Legalisierung von Cannabis starkmachte. Viele Leute sagten damals: «Ach, diese Drögeler», aber Polo hat man es irgendwie verziehen. Damals, als ich noch auf dem Bau gearbeitet hatte, gab es abgesehen davon noch viel mehr Linke. Die «Büezer» wählten damals noch die SP.
Sie haben Kuno Lauener als den «Literaten der Schweizer Rockszene» betitelt. Welchen Titel trägt Polo Hofer für Sie?
Um ihn auf etwas herabzubrechen: «Der, der die Alltagssprache singbar gemacht hat.»
Sie waren bei «Polo’s Pop Tales» gerade mal drei, bei «Füüf Narre im Charre» elfjährig. Was ist Ihre erste Erinnerung an Polo Hofer?
Der «Kiosk». Eine Single, die mir als Elf- oder Zwölfjähriger geschenkt wurde. Mein Vater musste mir die Zeile «Si wei aui öppis vo mer, ds Militär u ds Stüürbüro, obschon si ersch grad chürzlech hei my Zahltag übercho» erklären. Da spricht er von Lohnpfändung, aber was das ist, wusste ich damals noch nicht. Aber ich fand es fantastisch, dass Polo Hofer über solche Sachen singen konnte, die viele Menschen betreffen.
Von Anfang an gefiel mir seine Musik – auch musikalisch. Ich stand auch immer in der vordersten Reihe, wenn Polo Hofer im Oberaargau spielte. Diese Wildheit und diesen Humor, die er damals hatte und die mich beeindruckten, studierte ich genau. Mit der Zeit hat sich dann alles ein wenig verflüchtigt. Aber zu dieser Zeit war es schon eine grosse Inspiration.
Wo sind Sie Polo Hofer zum ersten Mal begegnet?
Persönlich begegnet bin ich ihm erstmals an der Verleihung des Kulturpreises der Bürgi-Willert-Stiftung im Jahr 2006, als ich mit der Autorengruppe «Bern ist überall» einen Preis erhalten habe und Polo Hofer am selben Abend ebenfalls. Klar habe ich ihn als Jugendlicher in den Strassen Berns bereits gekreuzt, aber damals traute ich mich natürlich nicht, ihn anzusprechen. Was mir von dieser Begegnung stark in Erinnerung geblieben ist, war sein unglaubliches Charisma, seine wahnsinnige Ausstrahlung.
Und welche Erinnerungen haben Sie an Ihre letzte Begegnung mit ihm?
Ich habe ihn vor drei Jahren am Bahnhof Bern zufällig gekreuzt, und wir sind ins Reden gekommen. In diesem Moment dachte ich mir: «Jetzt ist er ein alter Mann.»
Wie wichtig war Polo Hofer für Bern?
Polo Hofer war für Bern einer der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts – vielleicht nicht vom 21. Jahrhundert, aber vom 20. Jahrhundert sicher.
Dieses Interview erschien erstmals am 25. Juli 2017 im Tages-Anzeiger.