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Als wäre der Turm zu Babel eingestürzt


Als wäre der Turm zu Babel eingestürzt

Ein Viertel der Schweizer Bevölkerung spricht drei oder mehr Sprachen. Wer in seinem Umfeld keine Möglichkeit hat, sie anzuwenden, droht sie zu verlernen. In der «Sprachenbar» in Sitten kann man sich in bis zu acht Sprachen unterhalten. Ein Besuch.

In gemütlicher Runde. Die Teilnehmer der «Sprachenbar» am Tisch für Unterwalliser Patois. Sie treffen sich, um den neuesten Dorftratsch auszutauschen und die vor dem Verschwinden bedrohten Dialekte am Leben zu erhalten. Foto Adrien Woeffray

In gemütlicher Runde. Die Teilnehmer der «Sprachenbar» am Tisch für Unterwalliser Patois. Sie treffen sich, um den neuesten Dorftratsch auszutauschen und die vor dem Verschwinden bedrohten Dialekte am Leben zu erhalten. Foto Adrien Woeffray

Als ich an diesem Montagabend die Bar «Les Brasseurs» in der Kantonshauptstadt zum zweiten Mal betrete, mutet es an, als ob der Turm zu Babel gerade eben eingestürzt wäre. Ein Gewirr unterschiedlichster Sprachen erfüllt den Raum. «¿Cómo te llamas?», ist aus der hinteren Ecke zu hören. «What are your holiday plans?» oder «Ritorni in Italia?» lauten Fragen an anderen Tischen.

Ich befinde mich in der «Sprachenbar» in Sitten, einer Veranstaltungsreihe, bei welcher zwischen acht und neun Mal im Jahr bis zu acht Fremdsprachen praktiziert werden. «Es geht darum, die Sprachen, die man einmal gelernt hat oder lernt, im Dialog zu verbessern oder aufzufrischen», sagt Initiantin Verena Schoch im Vorfeld des Besuches am Telefon. «Mindestens 50 Prozent des Konzepts ist aber die Begegnung.»

35 Personen haben sich an diesem Abend eingefunden und verteilen sich auf sechs Tische. «Dieses Mal sind es wenig Teilnehmer», sagt Béatrice Maye schon fast entschuldigend. Dies liege wahrscheinlich am Ferienbeginn.

Gelebte Mehrsprachigkeit

Als ich «Les Brasseurs» kurz zuvor ein erstes Mal betrete, werde ich von Béatrice Maye begrüsst. Sie ist die Organisatorin der Sprachenbar in Sitten. «Est-ce que vous avez bien trouvé le chemin?», fragt sie, die sich ihrerseits einige Minuten zuvor via Nachricht auf Deutsch für ihre Verspätung entschuldigt hat. Gelebte Mehrsprachigkeit, wie sich auch im weiteren Verlaufe des Abends herausstellen wird, wenn Maye jedem Sprachentisch ihre Aufwartung macht und für ein kurzes Schwätzchen bleibt.

Über eine Sendung im Westschweizer Fernsehen wurde Maye auf das Konzept Sprachenbar aufmerksam. Unverzüglich kontaktierte sie die Initiantin Verena Schoch, traf sich mit ihr und erhielt die Zusage für die Durchführung in Sitten. Der Schritt über Schoch war notwendig, da die Initiantin den Begriff «Sprachenbar» 2011 ins Markenregister eintragen liess. Die erste Austragung in Sitten wurde im April 2015 organisiert und war offenbar ein voller Erfolg.

Diskussion ist Weg und Ziel

Das Konzept ist bestechend einfach: Gegen ein Eintrittsgeld von neun Franken und den obligatorischen Konsum eines Getränkes kann sich jeder Interessierte – auch ohne Anmeldung und sprachliche Vorkenntnisse – an den Tisch seiner Wahl setzen. In Sitten werden jedes Mal Deutsch, Italienisch, Englisch, Spanisch und Unterwalliser Patois angeboten. Einzig für Russisch, Griechisch und Französisch sind Anmeldungen notwendig. Wer sich an einen Tisch gesetzt hat, kann am selben Abend nicht mehr wechseln, damit eine Kontinuität beim Gespräch gewährleistet ist, wie Béatrice Maye sagt. Beim nächsten Besuch ist die Auswahl aber wieder offen.

Während eineinhalb Stunden diskutieren die Teilnehmer über Gott und die Welt. Obwohl: Genau diese Themen sind tabu. «Es gibt drei Themen, die wir nie ansprechen: Politik, Religion und Sexualität», sagt Béatrice Maye. Diese Entscheidung sei in Absprache mit Verena Schoch getroffen worden. Maye begründet diese Selbstzensur damit, dass es Menschen gebe, die sich unwohl fühlen und es nicht wagen würden, ihre eigene Meinung zu äussern. «Auch um Konflikte zu vermeiden», schiebt sie nach.

«Bondzo!»

Konflikte klärt an diesem Abend eine andere anwesende Gruppe. Béatrice Maye legt mir einen Zwischenhalt am Tisch des «Patois valaisan» ans Herz. Über eine kurze Treppe gelange ich ins Zwischengeschoss, in welchem bei schwachem Licht eine Gruppe von acht Unterwallisern in einer mir so nahen wie fernen Sprache spricht. «Bondzo!», werde ich von der heiteren Runde begrüsst. Auf Französisch erkläre ich, dass ich ihre Sprache nicht spreche. Der Empfang bleibt herzlich. «I tsanson di Nindey», ein Gesang im Patois aus dem Val de Nendaz wird angestimmt (glücklicherweise ist auf dem ausgeteilten Liedtextblatt die französische Übersetzung angegeben), Aprikosen herumgereicht und viel gelacht. Worüber, wird mir bis zuletzt ein Rätsel bleiben. «Wir erzählen nur Quatsch», beschwichtigt mich ein älterer Herr aus Veysonnaz und lächelt verschmitzt.

Obwohl die eher älteren Teilnehmer aus drei unterschiedlichen Unterwalliser Tälern stammen – und dementsprechend ebenso viele verschiedene «Patois» sprechen – verstehen sie sich sprachlich wie persönlich gut. «Wir treffen uns hier, um den neuesten Dorftratsch auszutauschen», sagt der selbst ernannte und respektierte Tisch-Chef, «und um die alten Konflikte zwischen den Regionen zu klären.»

Altersmässig ausgeglichen

Verena Schoch, selbst noch an Sprachenbars in anderen Städten anzutreffen, gibt sich besorgt über den Altersschnitt der Teilnehmer: «Die Jungen haben keine Lust und schauen höchstens vorbei, wenn sie kurz darauf in die Ferien verreisen.»

Eine Beobachtung, die Béatrice Maye keine Sorgen zu bereiten scheint. Tatsächlich ist an diesem Abend fast jeder zweite Teilnehmer geschätzt jünger als 30. Das Verhältnis sei auch generell ziemlich ausgeglichen und die Durchmischung funktioniere. «Wir sind nicht nur eine Sprachenbar, sondern schon bald ein Generationentandem», sagt sie und lacht.

Die Organisatorin. Seit 2015 organisiert Béatrice Maye die «Sprachenbar» in Sitten. Ihre Leidenschaft für Sprachen ist ihre Motivation. Foto Adrien Woeffray

Die Organisatorin. Seit 2015 organisiert Béatrice Maye die «Sprachenbar» in Sitten. Ihre Leidenschaft für Sprachen ist ihre Motivation. Foto Adrien Woeffray

Dieser Artikel erschien erstmals am 12. Juli 2018 im Walliser Bote.

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