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Die Hoffnung stirbt zuletzt


Die Hoffnung stirbt zuletzt

Erst die «Wohnbau- und Familienförderung», nun in den zwölf Finalisten des «Schönsten Dorfs der Schweiz». Seit bald zwei Jahren ist Albinen in den Medien quasi omnipräsent – und dies weit über die Kantons-, gar Landesgrenzen hinaus. Nicht alles sei Kalkül gewesen, sagt Gemeindepräsident Beat Jost. Dennoch scheint die Rechnung langsam aber sicher aufzugehen. Was steckt dahinter? Ein Besuch.

Die Schatten ziehen ab. Dank innovativen Ideen wie der «Wohnbau- und Familienförderung» rückt Albinen wieder näher an die Sonnenseite. Foto zvg

Die Schatten ziehen ab. Dank innovativen Ideen wie der «Wohnbau- und Familienförderung» rückt Albinen wieder näher an die Sonnenseite. Foto zvg

Obwohl der Himmel an diesen Julinachmittag blau und unbewölkt ist, erreichen die Sonnenstrahlen den gepflasterten Boden in manchen der verwinkelten und verschachtelten Gassen Albinens nicht. Zu nah wurde Haus an Stall an Scheune gebaut, die Dächer berühren sich fast.

Vor bald zwei Jahren brach ein gewaltiger Medienrummel um das knapp 250 Einwohner zählende Dorf am Eingang des Dalatals aus: «Würden Sie für 70 000 Franken hier hinziehen?», fragte 20min.ch, «Walliser Bergdorf Albinen beschliesst Lockangebot für Familien» berichtete die NZZ oder «Albinen will Neuzuzüger mit grosszügigen Geldsummen anlocken». Über die «Wohnbau- und Familienförderung», über welche die Albiner Urversammlung zu entscheiden hatte, wurde weit über die Landesgrenzen hinaus berichtet. Etwas mehr als 18 Monate später steht Albinen als einer der 12 Finalisten des «Schönsten Dorfs der Schweiz» fest. Es ist bald das medial bekannteste Dorf im Wallis. War das Kalkül oder eine Abfolge von glücklichen Ereignissen? Beat Jost, Gemeindepräsident von Albinen muss es wissen.

Jost empfängt uns am Dorfeingang an der LLB-Haltestelle «Albinen, Post», gegenüber vom Primo. Der Laden sei mittlerweile in Gemeindebesitz, das Sortiment werde von Volg bezogen. «Den Laden geben wir nicht mehr her», sagt der 64-Jährige, «würde der Laden nicht der Gemeinde gehören, könnten wir zuletzt auch noch ihn verlieren, sollte der Besitzer seine Geschäftsstrategie ändern.»

Denn verloren hat Albinen in den letzten Jahren und Jahrzehnten so einiges: Einst gab es hier noch eine eigene Postfiliale, zwei Banken hatten Geschäftsstellen im Dorf, Albinen seine eigene Primarschule. Einheimische Kinder rannten durch die verwinkelten Gassen. Seit der Schliessung der Schule vor elf Jahren fehlen die Kinder im Dorf. Und damit letztlich die Zukunftsperspektive. «Der Verlust der Schule ist das Schlimmste, was man einem Dorf antun kann», sagt Jost, der seit dem 1. Januar 2017 als Gemeindepräsident amtet.

Keine Marketing-Veranstaltung

Gefragt waren nun Ideen, wie man der Abwanderung und Überalterung entgegenhalten kann. Als Jost 2017 das Amt als Gemeindepräsident angetreten hat, kamen während den Gesprächen in den einberufenen Workshops sehr rasch die Jungen auf ihn zu und sagten ihm, man müsse unbedingt etwas für den Wohnbau und die Unterstützung machen. Jost führte im Mai 2017 mit dem Gemeinderat das Initiativrecht im Dorf ein. Im August des selben Jahres reichten die Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Initiative ein, die schliesslich in der «Wohnbau- und Familienförderung» mündete. «Diese Initiative haben 95 Einwohner unterschrieben, gebraucht hätte es 20», sagt Jost, «wir erkannten, dass es ein Bedürfnis gibt.»

In Albinen werden wichtige Informationen noch über Anschlagbretter kommuniziert. Oder über das Internet. «Wir müssen kommunizieren, nicht nur gegen aussen, sondern auch gegen innen», sagt Jost. Eine transparente und offene Kommunikation gehöre auch in einer kleinen Gemeinde wie Albinen dazu, sagt er, «aber es ist nicht das Ziel, dass wir eine Marketing-Veranstaltung durchführen».

«Der Verlust der Schule ist das Schlimmste, was man einem Dorf antun kann»
— Beat Jost, Gemeindepräsident von Albinen

Dennoch geschah, was vorkommen kann, wenn nationale Medien auf interessante Geschichten aus Randgebieten stossen: Die Initiative, die vorerst nur die Einwohner zu betreffen hatte, nahm enorme Ausmasse an. Gerade, weil einige Sachen kolportiert worden seien, sagt Jost. «‹Würden Sie für 70 000 Franken hier hinziehen?›, war eine masslose Überspitzung», sagt er, «das hat uns eine Unmenge Anfragen und Arbeit eingebracht, die wir nicht wollten.» Bis heute seien über 12 000 Anfragen aus der ganzen Welt eingetroffen erzählt Jost – und es werden laufend mehr. Formelle Gesuche mitsamt Unterlagen der Bank habe es aber nur sieben gegeben, sagt Jost, «und diese wurden allesamt bewilligt».

«Ich habe das Projekt von Anfang an begrüsst», sagt Thomas Egger, Direktor der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) und CVP-Nationalrat, auf Anfrage. «Ich unterstütze jedes Bergdorf, das etwas gegen die Abwanderung und die Überalterung unternimmt. Dazu braucht es manchmal neue, vielleicht auch unkonventionelle Ideen.» Neue und unkonventionelle Ideen, für die es manchmal den Blick eines Zugezogenen und Querdenkers brauche, sagt Egger, «als Einheimische sehen wir manchmal das Potenzial gar nicht, das in einem Ort steckt». Da könne ein externer Blick, wie Jost ihn als Obergestler in Albinen hat, ganz hilfreich sein. «Es braucht aber auch den Mut und den Willen, etwas Neues zu wagen. Und die Entscheidung, diese neuen Wege zu gehen, muss demokratisch abgestützt sein, so wie es die Urversammlung in Albinen getan hat», so Egger.

Sonne, Aussicht, Ruhe

Erst kürzlich gelang Albinen mit dem Einzug in die letzten 12 Dörfer des «Schönsten Dorfs der Schweiz» der zweite Coup, der in einer grossen medialen Präsenz mündete. Wobei Coup das falsche Wort ist, da die Gemeinde keine aktive Rolle darin gespielt hat. «Es sind immer wieder Albiner zu mir gekommen und haben gesagt, dass wir uns da auch mal bewerben könnten», sagt Jost, «ich sagte ihnen: Wir schauen dann mal. Ich habe immer gemeint, dass man dafür kandidieren muss.» Tatsächlich werde die Auswahl «komplett unabhängig und von einer eigenen, internen Jury getroffen», wie die «Schweizer Illustrierte», die den Wettbewerb mitorganisiert, auf Anfrage mitteilt. «Plötzlich habe ich eine E-Mail erhalten, in der es hiess, dass wir in den ersten 50 sind», sagt Jost.

Diesen Titel zu erhalten, wäre zwar schön, sagt Jost. «Es ist nicht so wichtig, ob wir das schönste Dorf der Schweiz sind», sagt er, «aber wir sind überzeugt, dass es ein schönes, erhaltens- und lebenswertes Dorf ist.» Wichtiger sei, dass der Wettbewerb manchem die Augen geöffnet habe.

In den engen Gassen Albinens. «Es ist nicht so wichtig, ob wir das schönste Dorf der Schweiz sind», sagt Gemeindepräsident Beat Jost, «aber wir sind überzeugt, dass es ein schönes, erhaltens- und lebenswertes Dorf ist.»

In den engen Gassen Albinens. «Es ist nicht so wichtig, ob wir das schönste Dorf der Schweiz sind», sagt Gemeindepräsident Beat Jost, «aber wir sind überzeugt, dass es ein schönes, erhaltens- und lebenswertes Dorf ist.»

Obwohl Schönheit rein subjektiv ist, ist Albinen doch ein gewisser Charme zu attestieren. Der Rundgang durch die engen und bisweilen steilen Gassen Albinens mit dem Gemeindepräsidenten ist Dorfführung und Geschichtsstunde in einem: Über die «Bikkini», einer einmaligen Strassenpflasterung, am gut erhaltenen «Fides-Hüs» vorbei, dem ältesten noch bewohnbaren Haus im Dorf, das auf das Jahr 1450 datiert wird, hinunter zur kürzlich wieder errichteten Trockensteinmauer am unteren Dorfeingang.

Sonne, Aussicht, Abgeschiedenheit. Die Gründe für die «Schönheit» Albinens seien vielfältig, sagt auch Thomas Pfister. Er und seine Frau Fides Auf der Maur sind Anfang 2018 nach Stationen im Kanton Schwyz, Zürich und New York ebenfalls in Albinen wohnhaft geworden. Pfister, ehemaliger Oberschullehrer und Mitarbeiter bei der Gesundheitsförderung, und Auf der Maur, Lehrerin am Konservatorium Zürich und Konzert-Klarinettistin, lockten die Lage und das Klima nach Albinen – und das noch bevor die «Wohnbau- und Familienförderung» überhaupt existierte. Auch Ruhe findet Pfister in Albinen. Einer der Gründe, weshalb es die beiden Schwyzer nicht nach Zermatt oder Saas-Fee gezogen hat, «wo die ganze Zeit Trubel herrscht».

Handicap: Schule

Wer wie Jost und die Gemeinde Albinen in ihrer Gesamtheit Familien anlocken und ihnen eine Perspektive geben möchte, müsste ihnen doch auch Arbeit im Dorf bieten können? Jost verneint: «Wir müssen nicht unbedingt Arbeitsplätze im Dorf haben», sagt er, «wir sind im Herzen vom Wallis. In 30 Minuten ist man in Sitten mit allen administrativen Jobs, in 20 Minuten ist man in Leukerbad.» Die Arbeitswege seien kürzer als jene des Durchschnittsschweizers, sagt Jost und illustriert mit einer Anekdote: «Ich bin eine Zeit lang zwischen Albinen und Bern gependelt. Täglich. Ein Zürcher, der in Bern arbeitet, hat mir mal gesagt ich spinne. Wir haben es ausgerechnet, und von Tür zu Tür war er drei Minuten länger unterwegs als ich – mit dem öffentlichen Verkehr!»

Ein grosses Handicap habe Albinen, sagt Jost selbst: die Schule. «Bei Familien, die bei mir anrufen, drehen sich acht von zehn Fragen um die Schule, um Kitas, Mittagstisch, Tagesschulstrukturen.» Dies könne Albinen nicht bieten, «aber wir sind daran, angepasste Transportlösungen zu finden», sagt er. Und: «Dieses Jahr werden wir vier oder fünf Geburten in Albinen haben», sagt er, «so viele hatten wir seit 20 Jahren nicht mehr!» Es könnte also durchaus sein, dass bald wieder mehr Kinder durchs Dorf laufen.

Dieser Artikel erschien erstmals am 17. Juli 2019 im Walliser Bote.

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