«Das führt keinen Schritt weiter»
Philip Kovce ist ein Vordenker des bedingungslosen Grundeinkommens. Im Interview erklärt der Philosoph, weshalb er nichts vom Pilotversuch in Zürich hält.
Herr Kovce, in der Stadt Zürich wird über die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) diskutiert. Wie sehen Sie die Chancen in Zürich, wurde doch der Vorstoss auf nationaler Ebene klar verworfen?
In Zürich geht es nicht um die Einführung eines Grundeinkommens als Grundrecht. Es geht darum, das Grundeinkommen zu testen, ohne zu wissen, wie das gehen soll. Die Antwort lautet: Es geht nicht! Natürlich kann man viel Geld ausgeben und jede Menge Daten erheben – aber dies führt keinen Schritt weiter. Die Daten sind wertlos. Sie beweisen nichts. Ausser der Unfähigkeit, zwischen Wissenschaft und Politik unterscheiden zu können.
Sie sind gegen das BGE-Projekt in Zürich? Dies verwundert schon ein bisschen. Was hätten Sie denn befürwortet?
Ich befürworte die politische Auseinandersetzung mit persönlichen Erfahrungen. Wie wirken Bedingungslosigkeit und Zwang? Welche Leistungen bedürfen äusserer Anreize, welche entstehen freiwillig? Welche Freiheiten wollen wir uns und welche den anderen zugestehen? Was das Grundeinkommen als Grundrecht bewirken könnte, bemerken wir nicht in irgendwelchen Schnupperkursen, sondern wenn wir gemeinsam diese Fragen bewegen.
Vor einem Jahr wurde die Volksinitiative für ein BGE in der Schweiz deutlich abgelehnt. Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Niederlage?
Die Schweizer Abstimmung war ein grosser Erfolg. Sie war Werbung für die Schweiz, für direkte Demokratie und bedingungsloses Grundeinkommen. Weltweit wurde darüber berichtet. Für die Schweiz heisst das: Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung. Die nächste Grundeinkommensabstimmung kommt bestimmt.
Ezgi Akyol von der Alternativen Liste Zürich begrüsst den Vorstoss, stellt aber die Frage, wer Anspruch auf das BGE hat: Nur Schweizer oder auch Flüchtlinge? Was denken Sie?
Flüchtlinge erhalten heute längst – und zwar völlig zu Recht – ein Grundeinkommen. Aber nicht bedingungslos, sondern bedingt durch ihre Notlage als Flüchtling. Wer ein bedingungsloses Grundeinkommen erhält, erhält es nicht als Flüchtling, sondern als Bürger. Wer davon ausgeschlossen ist und in Not gerät, dem wird als Ausnahme geholfen, während das bedingungslose Grundeinkommen die Regel darstellt.
Sie gehen davon aus, dass die Einführung des BGE die Migrationsströme nicht verstärken würde?
Das Grundeinkommen ist migrationsneutral. Es ändert die bestehenden Asyl- und Zuwanderungsgesetze nicht. Da die Fluchtursachen schon heute meistens Krieg und Vertreibung und nicht Fondue und Raclette sind, wird ein Grundeinkommen Migration grundsätzlich nicht befördern. Bestenfalls würde ein Grundeinkommen andernorts die Fluchtursachen bekämpfen.
«Was das Grundeinkommen als Grundrecht bewirken könnte, bemerken wir nicht in irgendwelchen Schnupperkursen.»
Seit knapp zehn Jahren setzen Sie sich für das bedingungslose Grundeinkommen ein. Noch hat kein Staat das BGE eingeführt. War Ihr Engagement Zeitverschwendung?
Wer Panzer auffährt, um die Gesellschaft zu verändern, für den sind zehn Jahre eine Ewigkeit. Wer auf den öffentlichen Diskurs der offenen Gesellschaft setzt, der muss geduldig sein. Das Grundeinkommen wird seit rund 500 Jahren vorgedacht. Dass es jetzt an der Zeit ist, leuchtet zunehmend ein. Also lohnt es sich, friedlich dafür zu kämpfen.
Welche waren in den letzten Jahren die wichtigsten Meilensteine für das BGE?
Das Grundeinkommen wird seit einigen Jahren von seinen Gegnern nicht mehr belächelt, sondern bekämpft. Es wird nicht mehr als utopisch abgetan, sondern als gefährlich gebrandmarkt. Das ist ein wichtiger Meilenstein, weil inzwischen selbst die Gegner des Grundeinkommens mit dem Grundeinkommen rechnen. Was gestern noch belanglos war, ist heute gefährlich und schon morgen die Zukunft.
Derzeit finden weltweit Pilotprojekte für ein BGE statt. Welches sticht Ihrer Meinung nach besonders heraus – und weshalb?
Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein neues Grundrecht. Als solches lässt es sich ebenso wenig testen, wie sich Demokratie, Rechtsstaat oder Menschenrechte testen lassen. Genau dies zeigen alle Pilotprojekte: dass das Grundeinkommen kein wissenschaftliches, sondern ein politisches Projekt ist, und dass seine Wirkungen nicht objektiv zu bestimmen, sondern politisch zu gestalten sind.
Sie sind also ein Gegner von Testphasen zum BGE. Müsste das «neue Grundrecht» von heute auf morgen eingeführt werden?
Im Gegenteil. Wer etwas grundsätzlich ändern will, der sollte es nicht überstürzen. Das Grundeinkommen wird erst dann eingeführt werden, wenn es mehrheitsfähig ist. Bis dahin dürfen wir noch mehr als einmal schlafen. Und doch ist die Einführung des Grundeinkommens bereits in vollem Gange. Denn durch nichts anderes als den öffentlichen Diskurs der politischen Willensbildung wird es schliesslich eingeführt.
«Das bedingungslose Grundeinkommen ist die humanistische Antwort auf den technologischen Fortschritt.»
Gegner des BGE monieren nur schon beim Begriff «bedingungsloses Grundeinkommen» die Rückkehr des Kommunismus. Was halten Sie dem entgegen?
Parteidiktatur, Planwirtschaft und Arbeitszwang waren die Säulen des real existierenden Sozialismus. Das Grundeinkommen stärkt die offene Gesellschaft, befördert die soziale Marktwirtschaft und liberalisiert den Arbeitsmarkt. Noch Fragen?
Vertreter der bürgerlichen Parteien befürchten, dass die Wirtschaft bei der Einführung des BGE komplett zusammenbrechen würde.
Wenn wir im 21. Jahrhundert weiterhin den Sozialstaat des 19. Jahrhunderts subventionieren wollen, dann wird uns dies teuer zu stehen kommen. Das Grundeinkommen befreit uns vom Ballast der sozialstaatlichen Kontrollbürokratie vergangener Tage. Es ist eine Investition in die Zukunft. Es betrachtet die Existenz des Einzelnen nicht als Schadensfall, sondern als Glücksfall. Die Existenz des Einzelnen zu sichern, ist die beste Kapitalanlage.
Das BGE basiert auf der inneren Arbeitsmotivation der Bevölkerung. Kann der Schuss nicht auch vollends nach hinten losgehen, wenn wirklich nicht genug Bürger bereit sind, trotz Gratisgeld zu arbeiten?
Freiwilligkeit ist die beste Voraussetzung guter Leistung. Wer nicht freiwillig arbeitet, wird faul. Das ist kein theoretisches Postulat, sondern praktische Erfahrung. Wer also anstelle von Zwangsarbeit freiwillige Tätigkeit fördern will, der kann das Grundeinkommen nur begrüssen.
Ist das BGE die Antwort auf die vierte industrielle Revolution – Verlust von Arbeitsplätzen durch technische Fortschritte, Digitalisierung, Arbeitsmangel im Dienstleistungsbereich?
Das Grundgesetz des digitalen Zeitalters lautet: Alles, was berechnet werden kann, lässt sich automatisieren. Und das Unberechenbare, das sich nicht automatisieren lässt, ist in besonderem Masse auf Freiwilligkeit angewiesen. Diese Freiwilligkeit gewährleistet das Grundeinkommen. Es ist die humanistische Antwort auf den technologischen Fortschritt.
Dieses Interview erschien erstmals am 28. November 2017 im Tages-Anzeiger.