«Ich habe über 60 Bewerbungen erhalten»
Filmerin Rebecca Panian will das Grundeinkommen testen – in einem Schweizer Dorf.
Sie möchten in einem Schweizer Dorf das bedingungslose Grundeinkommen während einem Jahr testen. Wieso möchten Sie ein Projekt durchführen, das an der Urne klar gescheitert ist?
Diese Idee besteht seit der Abstimmung im Jahr 2016. Ich unterstütze die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens und finde, dass sie weiter geprüft und in Anbetracht dessen, was alles schiefläuft, nicht vom Tisch gefegt werden sollte. Vor allem wenn ich höre, wie zum Beispiel CS-Manager Michael Strobaek sagt, dass die AHV bald nicht mehr finanzierbar ist, läuten bei mir die Alarmglocken. Es muss also dringend etwas unternommen werden. Ich bin eine Macherin, also versuche ich das Projekt zu realisieren.
Sie beschränken die Bewerbungen auf Dörfer. Wäre das Projekt in einer Stadt oder einem Stadtquartier nicht durchsetzbar?
Das wollte ich mit meinem Aufruf nicht ausdrücken. In einem Dorf ist die Realisierung aber wahrscheinlich einfacher. Dies sieht man am Beispiel der Stadt Zürich: Die als Motion eingereichte Anfrage an den Stadtrat wurde zum Postulat abgeändert, um mehrheitsfähig zu sein. Damit ist der Stadtrat aber zu nichts verpflichtet. Die Frage war also, ob ich auch ein Projekt einreiche und womöglich jahrelang warten muss, oder ob ich ein Projekt im kleineren Rahmen starte. Falls wir also flexibler sein können und das Projekt im Kleinen funktioniert, könnte dies eine gute Strahlkraft auf das Zürcher Projekt haben. Was ich mir absolut wünschen würde.
Haben Sie bereits Bewerbungen von Dörfern erhalten?
Bisher habe ich über 60 Bewerbungen erhalten. Meistens von Einwohnern, die ihre Dörfer als innovativ, BGE-freundlich gestimmt und demografisch gut durchmischt beschreiben. Aus dem Graubünden sind bisher am meisten Bewerbungen eingetroffen, aber auch aus Zürich, erstaunlicherweise Appenzell Ausserrhoden und selbst dem Tessin. Aus der Westschweiz kamen bisher nur sehr wenige Rückmeldungen, wobei das auf die fehlende französische Übersetzung der Internetseite zurückzuführen ist. Gerade gestern wurde ich aber vom Westschweizer Radio TSR und dem Tessiner Radio RSI interviewt und freue mich, dass das Projekt nun über die Sprachgrenzen hinaus thematisiert wird.
Ich habe mein Leben umgestellt, um mit möglichst wenig Fixkosten zu leben und dafür mein Luxusprodukt – Zeit – in Projekte wie diesen Film zu investieren.
Kann das nicht zu Problemen führen, wenn Einwohner ohne Einwilligung der Gemeinde kandidieren?
Wenn ich Namen veröffentlichen würde, könnte dies zu Problemen führen. Das werde ich aber nicht tun, auch nicht, wenn ich auf Bürgermeister(innen) zugehe. Es gab auch Bürger, die angeboten haben, den Gemeindepräsidenten zu fragen. Zu meiner grossen Freude gab es auch drei Gemeindepräsidenten, die mir geschrieben und ihr Dorf vorgeschlagen haben. In einem ersten Schritt werde ich nun herausfiltern, in welchen Dörfern das Projekt realistisch und durchführbar wäre, und werde dann mit den Verantwortlichen dieser Gemeinden in Kontakt treten. Anschliessend werde ich die Dörfer besuchen, die grundsätzlich mal Ja sagen, um die Details auszuarbeiten.
Philip Kovce, Mitinitiant der eidgenössischen Volksinitiative «Bedingungsloses Grundeinkommen für alle» sprach sich im Interview mit dieser Zeitung gegen Projekte des bedingungslosen Grundeinkommens aus, diese seien Schnupperkurse und führten keinen Schritt weiter. Wieso sehen Sie das anders?
Ich bin eine Macherin und finde, dass die Idee des Grundeinkommens unbedingt weitergeführt und getestet werden sollte. Mein Ziel ist es, die Idee so erlebbar wie möglich zu machen, auch im geplanten Film. Das geht nur mit einem Experiment, auch wenn es nicht hundertprozentig realistisch und repräsentativ ist. Dennoch kann es meiner Meinung nach viele gute Erkenntnisse liefern und ist deshalb sinnvoll.
Sie sind «aufgewachsen im Kapitalismus, haben lange 100 Prozent gearbeitet und gespart fürs Alter», schreiben Sie auf der Website zum Projekt. Was hat zum Sinneswandel, dass Sie «in den letzten zehn Jahren ihr Leben umgestellt haben», geführt?
Das waren diverse Faktoren. Als ich nach dem Grounding der Swissair meinen Job als Flight Attendant verloren habe, war ich an einer beruflichen Umorientierung im journalistischen Bereich in Deutschland und habe durch Zufall eine Stelle im TV erhalten. Das hat meine Leidenschaft für den Film und Storytelling geweckt. Und plötzlich kollidierte das, was ich liebte, immer mehr mit dem, was ich tun musste, um Geld zu verdienen. Mittlerweile lebe ich von einem 20-Prozent-Pensum als Filmverantwortliche an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und habe noch kleine Einkünfte von meinem ersten Dokumentarfilm «Zu Ende Leben». Ich habe mein Leben umgestellt, um mit möglichst wenig Fixkosten zu leben und dafür mein Luxusprodukt – Zeit – in Projekte wie dieses zu investieren.
Das Grundeinkommen sehe ich nicht als Allheilmittel, aber ich sehe die Chancen dahinter.
Wieso ziehen Sie das Grundeinkommen dem Kommunismus vor?
Im Kommunismus sollten alle Menschen gleichgestellt werden. Das ist beim Grundeinkommen nicht der Fall. Dieses soll ein Antrieb für die Menschen sein, herauszufinden, was ihre Stärken sind, und darauf aufzubauen. Es ist also quasi das Gegenteil des Kommunismus: Das Individuum wird gefördert und damit die Vielfalt der Menschen begrüsst.
Zur Finanzierung halten Sie sich noch bedeckt. Können Sie dazu mehr verraten?
Nein. Ich gehe bei diesem Projekt Schritt für Schritt vor. Zuerst muss ich herausfinden, mit welchem Dorf dieses Experiment durchgeführt wird. Mit dem Verein «Dein Grundeinkommen» werden wir einige Ideen ausarbeiten. Sobald ich weiss, welches Dorf es wird, weiss ich auch, wie viel zusätzliches Geld gebraucht wird. Zwei grobe Strategien bestehen aber schon: Einerseits würde ich gerne einen Event für Menschen organisieren, die sich vorstellen können, das Grundeinkommens-Dorf mit einer grösseren Summe zu unterstützen. Andererseits kann ich mir auch gut ein Crowdfunding vorstellen. Auch ein Sponsoring durch eine grössere Firma könnte durchaus in Erwägung gezogen werden.
Das Projekt werden Sie in einem Dokumentarfilm festhalten. Glauben Sie daran, dass Projekt und Film einen nationalen Gesinnungswandel herbeiführen können?
In erster Linie ist der Dokumentarfilm einfach das Medium, mit dem ich arbeite. Ich glaube an die Kraft der bewegten Bilder und würde mir natürlich wünschen, dass Menschen dadurch inspiriert werden. Durch Filme können Menschen etwas miterleben, obwohl sie nicht physisch anwesend sind. Ich möchte mit dem Film vor allem auch das heutige System, aber auch das Grundeinkommen hinterfragen, Befürworter und Gegner zu Wort kommen lassen. Das Grundeinkommen sehe ich nicht als Allheilmittel, aber ich sehe die Chancen dahinter und finde, es sollte zumindest geprüft werden.
Dieses Interview erschien erstmals am 12. Januar 2018 im Tages-Anzeiger.