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«Ich glaube nicht an genetisch bedingte Mentalitätsunterschiede»


«Ich glaube nicht an genetisch bedingte Mentalitätsunterschiede»

Philippe Bender sieht während der Ausgangssperre Tulpen und Jasmin in seinem Garten blühen. Die Zeit nach der Corona-Krise schätzt er aber trotz der Chancen, die er darin sieht, nicht nur rosig ein.

In der gleichen Seilschaft. «Dank unseres Verantwortungsbewusstseins werden wir gemeinsam einen Weg zur Überwindung der Pandemie finden», sagt Philippe Bender. Archivbild mengis media/Andrea Soltermann

In der gleichen Seilschaft. «Dank unseres Verantwortungsbewusstseins werden wir gemeinsam einen Weg zur Überwindung der Pandemie finden», sagt Philippe Bender.
Archivbild mengis media/Andrea Soltermann

Philippe Bender, Sie sind 70 Jahre alt und gehören somit zur Risikogruppe. Wie erleben Sie die aktuelle Situation?

«Mit Besorgnis. Die Krankheit, die sich herumtreibt, ist heimtückisch, sie kann einen im Handumdrehen niedermähen. Das beunruhigt mich. Auch wenn ich weiss, dass am Ende der Tod das Leben krönen muss. Gewiss, der Glaube nährt meine Hoffnung, aber ich bezweifle, dass ich ihn vollständig besitze.»

Sie haben Ihre Besorgnis über die Entwicklungen auf gesellschaftlicher wie auf wirtschaftlicher Ebene nach der Krise bei zahlreichen Gelegenheiten öffentlich zum Ausdruck gebracht. Welche Sorge überwiegt?

«Wie werden wir aus dieser Ausnahmesituation herausfinden? Überwältigt oder entschlossen vorwärtszugehen? Die Solidarität wird entscheidend sein, in der gegenwärtigen Tragödie wie in der kommenden Zeit der ‹Genesung›. Denn es wird eine Rekonvaleszenz geben, eine Zeit der Wiederherstellung, in der wir wieder zu Kräften kommen werden. Wie der ehemalige US-Präsident Roosevelt am 4. März 1933 in seiner Antrittsrede sagte: ‹Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst – die namenlose, blinde, sinnlose Angst, die die Anstrengungen lähmt, deren es bedarf, um den Rückzug in einen Vormarsch umzuwandeln›.»


Zur Person

Philippe Bender sitzt für die FDP im Walliser Verfassungsrat und bezeichnet sich als «echten Liberalen-Radikalen». Er arbeitete als Historiker unter anderem für das Schweizerische Rote Kreuz, hält heute noch regelmässig Vorträge, publiziert Bücher und Gastkolumnen und ist ein gern gesehener Gast in den Westschweizer Medien. Der 70-Jährige ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder.


Auf wirtschaftlicher Ebene wurde vieles auf den Kopf gestellt. Wird sich der Kanton davon erholen?

«Dank des kollektiven Verantwortungsbewusstseins werden wir einen gemeinsamen Weg zur Überwindung der Pandemie finden. Unser Gesundheitssystem ist solide, der Staatsrat handelt intelligent und in Zusammenarbeit mit dem Bundesrat. Ohne falsche Versprechen, sondern mit wohldurchdachten Massnahmen. Sicheren Schrittes wie Bergführer – und wir sind alle Teil derselben Seilschaft.»

Keine Nachwirkungen?

«Natürlich wird eine solche Krise die soziale und wirtschaftliche Landschaft verändern. Aus ihr werden auch ‹Verlierer› herauskommen, die der Staat zu retten hat, indem er ihnen eine neue Chance gibt. Es ist die vornehme Aufgabe der Behörden, diese wesentliche Aufgabe zu packen: Niemand darf auf der Strecke bleiben!»

«Die Krankheit ist heimtückisch und kann einen im Handumdrehen niedermähen. Das beunruhigt mich.»

Durch Ihr Parteibuch wären Sie erwartungsgemäss misstrauisch gegenüber einem Staat, der zu mächtig und zu allgegenwärtig ist und Befürworter persönlicher Freiheiten. Die Massnahmen von Bund und Kanton befürworten Sie indes. Ist dies kein Widerspruch?

«Die echten Liberalen-Radikalen – und dazu zähle ich mich nicht ohne Stolz – werden einem starken und respektierten Staat, der in der Lage ist, im Namen des gesamten Volks zu handeln, niemals feindlich gegenüberstehen. Darf ich Sie daran erinnern, dass die FDP am Ursprung der modernen Schweiz und der für das Gemeinwohl unentbehrlichen sozialen Institutionen wie der Sozialversicherung stand. Versuchen wir also, diese ideologischen Fallen zu vermeiden. Bern und Sitten meistern die Pandemie, das ist erfreulich. Und die reichlich vorhandenen finanziellen Mittel, die das Ergebnis eines guten Finanzhaushalts und einer leistungsfähigen Wirtschaft sind, sind eine grosse Hilfe für die öffentlichen Massnahmen in dieser Zeit.»

Manche befürchten einen zu mächtigen Bundesrat und die Gefahr, dass er Mühe haben wird, diese Macht wieder zurückzugeben, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg geschehen ist. Werden wir zum «normalen» politischen Betrieb zurückfinden?

«Die Pandemie wird besiegt und ein Impfstoff entwickelt werden. Unsere Institutionen werden ihre Stärken unter Beweis gestellt haben, Bund und Kanton an Glaubwürdigkeit gewinnen. Aber das bedeutet nicht, dass sie morgen ihre Tentakel, ihre Bürokratie ausweiten dürfen. Es ist die regulierte Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die die Feuerprobe bestanden haben wird.»

«‹Bern› und ‹Sitten› meistern die Pandemie, das ist erfreulich.»

Sie haben mehrmals begeistert vom Föderalismus gesprochen, der sich in dieser Krise bewährt habe. Können Sie dies erläutern?

«Der Föderalismus ermöglicht eine nachhaltige Zusammenarbeit zwischen Bundesbern und dem Kanton. Nicht alles beginnt im ‹Zentrum›! Die Schweizer Kantone sind reale Staaten, deren Behörden ihre Einwohnerinnen und Einwohner kennen. Sie können daher eine kalibrierte und wirksame Politik umsetzen und sich an spezifische Problematiken anpassen.»

Andere fürchten die digitale Überwachung der Bürger. Bewegen wir uns aus der Krise heraus in Richtung eines totalitären Staats?

«Die allgemeine und politische Kultur einiger asiatischer Länder unterscheidet sich stark von unserer. Auch ihre Geschichte. Alles in allem ist unsere soziale Kontrolle das Ergebnis freiwilliger Disziplin, so wie das ordnungsgemässe Funktionieren unserer Institutionen auf einer langen Lehrzeit des staatsbürgerlichen Pflichtgefühls beruht. Es gibt keinen Grund, den Lauf der Dinge zu ändern: Die Schweiz ist und bleibt die Schweiz!»

In der Sotomo-Umfrage, die der «Walliser Bote» am 9. April publiziert hat, existieren Unterschiede zwischen den Sprachregionen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Unterwalliser keine Lockerung oder gar eine Verschärfung der Massnahmen wünschen und gleichzeitig weniger Vertrauen in die politischen Behörden haben. Woher kommt diese Mentalität?

«Ich bin misstrauisch gegenüber Umfragen, auch wenn sie seriös sind. Sie geben nur eine punktuelle Übersicht der öffentlichen Meinung. Diese Meinung aber kann sich ändern, im Falle einer Pandemie sogar recht schnell. Der Grad der gesundheitlichen Bedrohung kann Gedanken und Verhaltensweisen von Grund auf ändern. Um die Meinung wirklich herauszuspüren, müssen auch andere Faktoren berücksichtigt werden.»

«Der Staat hat die vornehme Aufgabe, den ‹Verlierern› der Krise eine neue Chance zu geben.»

Nämlich?

«Zum Beispiel die wirtschaftliche und soziale Struktur, dass der Tourismus im Oberwallis ein dominierender Wirtschaftszweig ist. Die allgemeine Wahrnehmung des Staats, ob Sozialstaat oder bürokratischer Staat, auch das Gewicht von Bundesbern spielt eine Rolle. Und schliesslich die Intensität des Ereignisses, ob es einen Anstieg oder einen Rückgang der Infektionen gibt. Ich glaube nicht allzu sehr an ‹genetisch bedingte› Unterschiede in den Mentalitäten zwischen Ober- und Unterwallisern. Aber vielleicht irre ich mich auch.»

Kann trotz dieser Unterschiede zwischen den Sprachregionen immer noch von einem einheitlichen Wallis gesprochen werden? Wie steht es um die kantonale Kohäsion?

«Ich möchte diese Frage mit einem Zitat aus dem Bericht beantworten, den die Kommission 1 des Verfassungsrats zuhanden des Büros verfasst hat: ‹Wir, vom Ober- und Unterwallis, von der Furka bis zum Genfersee, leben zusammen und wollen in Harmonie miteinander leben.› Die Kommission hat sich einstimmig für die Einheit des Kantons ausgesprochen, mit all seiner Vielfalt und mit Respekt gegenüber Minderheiten. Der kantonale Zusammenhalt erfordert eine funktionierende Demokratie sowohl auf politischer, sozialer und kultureller Ebene, bei der die Wirtschaft an ihrer Stärke teilnehmen muss. Und dies ist der Fall.»


Dieser Artikel erschien erstmals am 20. April 2020 im Walliser Bote.

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